Impuls zum Thema

„Mitgefühl, Weisheit und viel Humor“

von Zen-Meisterin Doris Zölls, Mitglied des spirituellen Beirat am Benediktushof

„Das Wesen des Humors ist Empfindsamkeit, ein warmes, zartes Mitgefühl für alle Formen des Daseins. Wenn die Empfindsamkeit nicht gereift und gereinigt wird durch Humor, geht sie leicht irre, wird krankhaft, unwahr, mit einem Wort, sie artet in Sentimentalität aus.“

Thomas Carlyle (1795 – 1881)

Der schottische Philosoph Thomas Carlyle nimmt das Thema, über das heute mein Impulstext gehen soll, bereits wunderbar auf. Mitgefühl, Weisheit und Humor. Diese Begriffe erscheinen auf den ersten Blick für sich zu stehen. Der zweite Blick jedoch zeigt, sie stehen nicht neben- oder nacheinander. Sie fallen im Erleben zusammen.

Der große Zen-Meister Hui Neng beschrieb einmal Mitgefühl als die radikale Akzeptanz dessen, was ist. Damit meinte er nicht, dass wir alles für gut halten sollen. Mitgefühl ist für ihn die Annahme des Lebens, wie es ist, bevor wir es mit unseren Bewertungen und Urteilen eingeordnet und festgelegt haben. Vorlieben und Abneigungen bestimmen immer unser Denken. Doch dieses Denken begrenzt uns, es versperrt uns die Sicht auf die Dinge, wie sie wirklich sind.

Wir sehen durch die Augen des Urteilens nicht, wie alles miteinander verwoben ist, das eine das andere bedingt und nichts festgeschrieben werden kann, da es sich unentwegt wandelt. In der Meditation versuchen wir, hinter diese bewertenden Augen zu gehen, alle Phänomene erst einmal stehen zu lassen, sie nicht gleich festzulegen. Können wir all das, was erscheint, einige Zeit halten ohne zu urteilen oder zu kommentieren, werden wir erleben, wie sich uns eine viel weitere Dimension eröffnet, als wie sie unser Denken erfassen kann.

Auf einmal können wir dieses Eins-Sein von allem erleben. Es entsteht ein tiefes Sehen und Erkennen, aus dem heraus ein Annehmen und ein Sich-Einfühlen in das was ist folgt. Diese Sichtweise frei von Bewertungen ist weise. Sie eröffnet einen völlig neuen Horizont des Verstehens. Zeichnen sich weise Menschen nicht dadurch aus, dass sie mit einem gütigen Blick auf die Welt schauen können, eben weil sie nicht sofort werten? Ihr Blick erkennt und kann zulassen.

In der Weisheit lebt das tiefe Vertrauen, dass alles ineinander spielt und, wie es in Rilkes Gedicht „Herbst“ zum Schluss heißt: „… doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.

Mitgefühl ist Weisheit und Weisheit ist Mitgefühl. Beide sind fähig in uns die Spannungen, die durch unser Wollen und Festhalten entstanden sind, zu lösen. Sie verschaffen Erleichterung, zaubern ein sanftes Lächeln auf unser Gesicht. Gelassenheit tritt ein, ein kleiner Schalk schleicht sich in die Augen, eben Humor, der aus diesem Vertrauen genährt wird, dass alles seinen Platz und seine Zeit hat, nichts ausgeschlossen, nichts verloren ist.

Mitfühlende Weisheit bringt Humor hervor. Er löst die festgeschnürten Banden unserer Urteile, schenkt die Leichtigkeit der Veränderung und damit Befreiung. Fehlt die Leichtigkeit, wird das Mitgefühl nicht wirklich in seiner tiefen Weisheit erlebt. Entweder sie wird schwer und niederdrückend oder, wie Carlyle es nennt, zu einer oberflächlichen sentimentalen Stimmung. Mitgefühl und Humor gehören daher zusammen. Sie sind der Ausdruck von Weisheit, die uns alle durchdringt und die sich uns in dem Moment zeigt, in dem wir still werden und geschehen lassen können, was ist.


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Doris Zölls

Evangelische Theologin, Zen-Meisterin der Zen-Linie "Leere Wolke" (Willigis Jäger), Mitglied im Präsidium der West-Östliche Weisheit Willigis Jäger Stiftung. www.alltagszen.de
 
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