Meditieren mit App und Smartphone

„Die Jugend von heute ist verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein, wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten.“

Keilschrift, Chaldäa, um 2000 vor Christus

 

„Ich habe überhaupt keine Hoffnung in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich…“

Aristoteles, 384-322 vor Christus

Merken Sie anhand der Zitate, wie alt eigentlich die Unzufriedenheit der jeweiligen älteren Generation mit der nachfolgenden ist? Genau. Sie ist wohl genauso alt wie die Menschheit selbst. Wir waren wohl nie wirklich offen dafür, wie die neuen Generationen ihr Leben gestalten. Wie kommt das?

Wir wären durchaus offen für Neues, allerdings mit einer entscheidenden Einschränkung: das Neue möge sich doch bitte ins Alte einfügen und bloß nicht versuchen, es infrage zu stellen. Am besten wäre es für uns Alten, wenn das Neue lediglich das ändern würde, was uns eh nicht passt. Alles andere gilt als Unfug und gewöhnlich raten wir unseren Kindern davon ab. Gott sei Dank mit sehr geringem Erfolg.

Und warum reagieren wir auf Neuerungen so ablehnend? Weil wir nicht bemerkt haben, dass wir an dem „Alten“ hängen. Es macht uns etwas aus. Es ist unsere Gewohnheit und damit Teil unserer Identität. Wird diese unsere Identität von den Entwicklungen nicht ausdrücklich unterstützt, so fühlen wir uns persönlich betroffen, getroffen, ja sogar infrage gestellt oder angegriffen. Das ist der Kern eines jeden Generationskonflikts, der eben so alt ist, wie die Menschheit selbst. Die „Neuen“ und das „Neue“ wurden immer schon verdächtigt, nicht gut genug zu sein und letztlich Unfug zu betreiben. Erinnern wir uns doch bitte an unsere Jugendzeit und die Diskussionen mit unseren Eltern oder Großeltern. Kamen sie uns nicht immer wieder unbeweglich, altmodisch, verstaubt oder gar ängstlich vor?

Nun aber sind die allermeisten von uns selbst Eltern oder Großeltern geworden und plötzlich hat sich unsere Perspektive unbewusst, jedoch entscheidend verändert. Jetzt vertreten wir gegenüber den jüngeren Generationen das einzig Wichtige und Richtige. Mehr noch: Das Tempo der Veränderungen bewegt sich nicht mehr von einer Generation zur nächsten, sondern findet innerhalb einer einzigen Generation statt. Plötzlich erleben wir mehrere Innovationen innerhalb unseres Lebens, wobei wir an den meisten sogar irgendwie beteiligt sind, wenn nicht direkt, dann spätestens dadurch, dass wir Zinsen, Renten, Lebensversicherungen und vieles mehr erwarten. Aber noch deutlicher gesagt: Wir werden, auch gegen unseren Willen, immer schneller mit den unzähligen Neuerungen konfrontiert, ob es uns passt oder eben nicht. Dafür werden die „Jungen“ schon sorgen, genauso wie wir es gemacht haben. Und wie reagieren wir darauf? Wir tendieren dazu, uns in unseren bisherigen Gewohnheiten zu verschanzen. Mit guten Argumenten natürlich. Wir sind es, die schließlich seit Jahren und Jahrzehnten meditieren und wir wissen, was dafür notwendig ist oder nicht. Das moderne Zeug wie Meditations-Apps, YouTube-Kanäle und vieles mehr haben wir nie gebraucht und deswegen – so unsere gängige Schlussfolgerung – sind diese Dinge, wenn überhaupt, dann als kaum ernst zu nehmende Modeerscheinungen einzustufen.

Natürlich möchte ich an dieser Stelle keine Werbekampagne für die Anbieter solcher Produkte machen. Was ich aber durchaus möchte, ist darauf hinzuweisen, dass wir den neuen Generationen gestatten sollten, sich so zu organisieren, wie sie es für sich können und wollen. Eine App, ein Smartphone oder Tablet sind nicht an sich gut oder schlecht, sondern auch hier kommt es auf den Gebrauch an. Internetportale, Dank welcher z. B. gemeinsames Meditieren und Reflektieren möglich ist, auch über die stattgefundenen direkten Begegnungen hinaus, erfreuen sich einer wachsenden Beliebtheit und drücken unsere Art zu sein und zu kommunizieren aus. Und wenn eine App uns mitten am Tag mit einer kleinen Besinnung wachrüttelt, dann könnten wir dies auf jeden Fall mit einem dankbaren Augenzwinkern annehmen, oder? Millionen von Menschen tun dies bereits und wer weiß, vielleicht bedient sie der junge Verkäufer an der Tankstelle gerade deswegen so freundlich, weil ihn gerade seine Applikation daran erinnert hat, den soeben vor ihm stehenden Menschen, in dem Fall also Sie, einzigartig zu finden?

Apps sind da. Ebenso Tablets und Laptops und damit ein Zugang zu einer Menge von unsinnigen aber eben auch interessanten, wertvollen und unterstützenden Angeboten. Lasst uns doch wach, kritisch und etwas mehr großzügig sein. Das Leben findet immer seinen Weg, auch wenn dieser mit unseren Vorstellungen mal wieder nicht übereinstimmt. Die neuen Generationen erkunden und gestalten ihn bereits.

Alexander Poraj

katholischer Diplom-Theologe, Schwerpunkt Religionswissenschaften, Promotion zum Thema: „Der Begriff der Ich-Struktur in der Mystik Meister Eckeharts und im Zen-Buddhismus“. Er ist Zen-Meister der Linie "Leere Wolke" (Willigis Jäger) und von Willigis Jäger ernannter Kontemplationslehrer. Er war u. a. Geschäftsführer der Oberbergkliniken, Mitbegründer der Stiftungen West-Östliche Weisheit in Spanien und Polen sowie der Institute für persönliche Entwicklung "Euphonia" in Barcelona und Breslau. Er ist Mitglied der spirituellen Leitung des Benediktushofes, Mitglied des Präsidiums der West-Östliche Weisheit Willigis Jäger Stiftung und Geschäftsführer der Dr. Poraj & Partner GmbH in Zürich. www.alexanderporaj.de, www.drporaj.ch
 
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