Jenseits der Worte

von Harald Homberger, Kursleiter am Benediktushof, Spritueller Leiter Samyama Integrale Yogameditation und Psychotherapeut

Wir sind in einer bewegenden Zeit! Vieles, was bisher in unserem Leben selbstverständlich war, das ist uns allen mittlerweile bewusst geworden, ist einer anderen Wirklichkeit gewichen. Der Coronavirus bestimmt nicht nur unser Lebensgefühl, sondern stellt für uns auch das Leben als Ganzes in Frage. Menschen sterben mit oder an dem Virus, andere sind wirtschaftlich in ihrer Existenz bedroht. Ein Großteil unserer Gesellschaft sieht in der angebotenen Impfung gegen den Virus eine Hoffnung, nicht wenige befürchten gesundheitliche Folgen für ihren Körper.

Die Zeiten des Lockdowns und der verordneten beruflichen Untätigkeit lassen Ohnmachtsgefühle entstehen, eine Vielzahl haben sie jedoch auch als einen Segen empfunden. Mehr Ruhe und Zeit für sich und seine Angehörigen, ein mehr Hinspüren zu dem, was essentiell wichtig ist, lässt diese segnende Empfindung entstehen. Yoga-Übende, die mit uns auf dem Weg sind, berichten, dass sie endlich Zeit für ihre eigene Asana- und Meditationspraxis haben. Andere Weggefährten sehen sich, durch die „verordnete Stille der Bundesregierung“, mit alten verdrängten Ängsten und Erlebnissen aus den Kindheitstagen oder dem Unbewussten konfrontiert.

Jedoch: Unsere Meditationspraxis kann gerade in dieser Zeit eine Unterstützung sein. Die jetzige Krise, im Innen wie im Außen, ist der Weg, der gegenwärtig von uns zu gehen ist.

Einmal mehr besteht die Chance, den tiefer liegenden Bewegungen unseres Geistes während unserer Meditationspraxis bewusst zu werden. Wir begegnen in der Meditation all unseren Fragen, unserem Schmerz, unseren Abspaltungen, unseren Ängsten und einer tiefen Wahrnehmung von Einsamkeit. Meditation bedeutet, dass wir nicht mehr der Einsamkeit ausweichen.

Die Einsamkeit, auf die wir zurückgeworfen sind, wenn wir uns unserem Sein in seiner Ganzheit öffnen. Obwohl es uns schmerzt, möglicherweise kommt Traurigkeit, eine Scham oder eine Wut, aber wir weichen nicht mehr aus. Ja, es ist schmerzhaft, aber wir bleiben gegenwärtig, gegenwärtig im Schmerz.

Wenn solche Gefühle oder Gedanken kommen, müssen wir sie anschauen, sie beobachten, ihnen in uns Raum geben, sie so lassen wie sie sind, denn sie sind unsere Realität. Wenn wir ihnen weiterhin begegnen, wenn wir mutig und achtsam genug uns ihnen weiterhin stellen, ändert sich die erlebte Einsamkeit in der Meditation eines Tages, sie wird zum Alleinsein. Und das ist der Moment, in dem eine großartige Veränderung geschieht.

Es gibt eine Erfahrung jenseits unserer Worte, die wahrnehmbar wird, wenn unsere Worte und unsere Gedanken still werden. Ein Hinlauschen hinter dem Erklingen eines Wortes. Wir lauschen dann auf den Ton hinter dem Ton. Wenn wir uns diesem Prozess hingeben, lassen wir das sinnliche „Hören“ zurück und kommen in eine spürende Erfahrung.

Ein Sich-hin-Öffnen in eine andere vorhandene, wirkende Wirklichkeit. Das Sich-Öffnen lässt eine spürbare Weite entstehen, ein sich ausdehnendes Raumerleben, ein Eingehen in eine Wahrnehmung von unendlichem Raum. Dieser Raum dehnt sich fühlend nicht nur nach Außen aus, sondern gleichsam auch nach Innen. Die Empfindung der Körpergrenzen wird brüchig, löst sich auf, nur noch Raum ist spürbar. Und dieser Raum ist still. Dieser Raum ist nicht nur still, sondern er ist Stille. Sie berührt uns!

Hin und wieder tauchen in diesem stillen Gewahrsein Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen wie Blasen in einem Ozean auf, und, wenn wir nicht mit ihnen in Verbindungen gehen, lösen sie sich wieder auf. Dieses Erleben nennen wir Meditation, und wenn es tiefer geht, wir eins werden mit dieser Erfahrung, nennen wir es Samādhi, die Einheitserfahrung.

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