Durchlichtet werden

von Irene Schneider, Mitglied der spirituellen Leitung am Benediktushof

„Unsere Identität ist das Leben Gottes, das im Evangelium mit Licht bezeichnet wird. Es ist das Licht, das durch diese unsere Augen schaut – oft verdunkelt und entstellt, aber es ist das göttliche Licht.“

Willigis Jäger

Zum zweiten Mal findet die Osterzeit unter besonderen Umständen statt, nämlich der Einschränkungen durch die Pandemie. Durch diese Einschränkungen sind für nicht wenige Menschen dunkle Wolken in ihrem Leben aufgezogen und die Hoffnung auf Licht am Ende des Tunnels war selten stärker. Die Sehnsucht nach Licht, Helligkeit, Klarheit tragen wir tief in uns.

Doch unabhängig von der aktuellen Situation: Die Erfahrung von dunklen Situationen gehört zu unserem Leben, ebenso wie die Erfahrung, dass es wieder hell wird. Die Polarität von Dunkelheit und Licht im Leben können wir nicht einfach auflösen – auch nicht durch besonders intensives Üben im Sitzen. Und wir müssen es auch nicht, denn Polaritäten gehören zum Prozess des menschlichen Lebens.

Die Erfahrung von Ostern ist nicht nur, dass wir Licht sind und göttliches Leben in uns ist; sondern es ist v.a. die Erfahrung, dass dieses Licht unzerstörbar ist. Ostern erinnert uns, dass auch der Tod als größte Dunkelheit jenes Licht – das göttliche Leben in uns – nicht auslöschen kann.

Ja, wir müssen dunkle Situationen aushalten, uns durch die Schatten unserer Persönlichkeit und die dunklen Kapitel unseres Lebens, durch Verletzungen, Leere, Ängste durcharbeiten. Doch ich nehme an, Sie haben – so wie ich – dabei auch schon „Erfahrungen des „Durchlichtetwerdens“ gemacht – wie es Sebastian Painadath nennt.

Diese Erfahrung, dass in unserem Herzen ein Licht aufgeht und die dunklen Räume durchlichtet werden, ist ein Geschenk. Wir können diese Erfahrung nicht selbst bewirken oder gar erzwingen, aber uns für dieses Licht öffnen und durchlässig werden.

Und so wünsche ich uns allen:

Mögen wir – in allen Situationen des persönlichen und gesellschaftlichen Dunkels – uns der Gegenwart und Dynamik des göttlichen Lichtes in uns bewusst sein.

Mögen wir unseren Blick immer wieder auf das Helle in den Menschen und im Leben richten statt auf das Dunkle.

Mögen wir uns vom Osterfest daran erinnern lassen, dass das göttliche Licht Christi als unzerstörbares in uns und durch uns leuchtet.

Mögen wir „als Söhne und Töchter des Lichts“ (1 Thess 5,5) darauf vertrauen, dass ein Licht am Ende des Tunnels aufscheinen und ihn schon jetzt „durchlichten“ wird – wie auch immer dies geschehen mag.


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Irene Schneider

Irene Schneider, geboren 1964, ist Diplom-Theologin sowie Gestalttherapeutin und hat eine langjährige Berufserfahrung in verschiedenen Bereichen der Seelsorge, Persönlichkeitsentwicklung und spirituellen Begleitung. Zudem ist sie als Seminarleiterin und Beraterin tätig. Achtsamkeitspraxis und systemische Aufstellungsarbeit unterstützen sie in ihrer Arbeit. Sie geht seit vielen Jahren den Weg der christlichen Spiritualität und des kontemplativen Gebets. Sie ist Mitglied der spirituellen Leitung des Benediktushofes.