Über die Verantwortung und Ziele
von Zen-Meister Alexander Poraj, Mitglied des spirituellen Beirats am Benediktushof
Der bereits verstorbene Journalist Robert Lembke sagte einmal:
„Im Flugzeug gibt es während starker Turbulenzen keine Atheisten.“
In der letzten Zeit musste ich immer wieder an diese Aussage denken. Normalerweise leben wir nämlich in der Annahme, dass wir die volle Verantwortung für unser Leben tragen. Mehr noch: Wir sind fest davon überzeugt, dass wir uns Ziele setzen, und es in unserem Leben darum geht, die selbstgesetzten Ziele möglichst vollständig zu erreichen. Welche Ziele es sind, dass ist nur wenig selbstbestimmt oder „Geschmacksache“, denn wir werden sehr früh dazu erzogen, unser Leben in die Hand zu nehmen, um glücklich zu werden. Darum geht es. Und worin besteht das vielgepriesene Glück? Richtig! Es besteht darin, die gesetzten Ziele zu erreichen. Hier schließt sich der Kreis ziemlich schnell, auch wenn es dafür im realen Leben Jahre oder gar Jahrzehnte braucht.
Dieses Lebensgefühl setzt natürlich voraus, dass wir auch die Kontrolle über das Leben haben. Und was machen wir, wenn es mit dem Erreichen der Ziele nicht klappt? Wir suchen nach einem Schuldigen oder einer Schuldigen. In der Regel sind die Schuldigen „die Anderen“, häufig „die widrigen Umstände“ und ab und zu auch mal wir selbst. Ist aber der Unterschied zwischen meinem „Soll“ und dem „Ist“ des Lebens noch größer, so wie jetzt und während der Pandemie, dann taucht häufig folgendes Phänomen auf: Von Jetzt auf Gleich gebe ich meine gesamte Verantwortung ab: Je nach persönlichen Vorlieben mache ich irdische oder jenseitige Mächte dafür verantwortlich, was geschieht. Mit anderen Worten: Ich nehme eine Art kindlich-magische Haltung ein. Diese besteht aus einer Mischung aus Angst, Ohnmacht, dem Ausgeliefertsein sowie einer guten Priese Wut. Genau dieser Zustand macht mich für das, was ist und geschieht blind und zugleich offen und anfällig für die unterschiedlichsten Theorien, welche vor allem eine einzige Aufgabe erfüllen müssen: Meinen kindlich-magischen Zustand mit passenden Geschichten zu nähren.
Bei diesen Ansätzen, diesen Zustand zu erhalten, dominiert eine Sichtweise: Ich will, dass es so wird wie ich es will. Alle physischen, irdischen und metaphysischen Kräfte sollen mich dabei unterstützen. Tun sie es nicht und ich bekomme nicht das, was ich bekommen möchte, dann empfinde ich es als Strafe.
Was wir allzu schnell übersehen ist ein kleiner aber umso wichtigerer Punkt: Wir sind nicht wirklich die Mitte des Universums und die Welt dreht sich nicht ausschließlich um uns, um unsere Wünsche und unsere Vorstellungen. Wir wissen erst seit relativ kurzer Zeit, dass sie sich überhaupt dreht und noch gar nicht warum, wieso und wozu. Ein kleines Erwachen in diesem Zusammenhang könnte bedeuten, dass wir uns erneut des riesigen Geheimnisses der Welt und des Lebens bewusst werden; dass wir erneut die Tatsache zulassen, wie fragil und flüchtig unsere Existenz ist und wie wenig es bedarf um sie aus der Bahn zu werfen oder gar zu beenden.
Vielleicht freunden wir uns langsam mit diesen Fakten an?
Bleibt wach und gesund!