Die ersten Tage
von Zen-Meister Alexander Poraj, Mitglied des spirituellen Beirats am Benediktushof
Ich weiß nicht, wie es bei Euch war, aber gerade noch war mein Terminkalender für März und April mehr als gut gefüllt. Und plötzlich, von Jetzt auf Gleich, erlebte ich einen erzwungenen Boxenstopp, als das „Rennen“ so gut für mich lief! So ganz glauben konnte ich es nicht und anfreunden konnte ich mich mit der sich anbahnenden Situation erst recht nicht. Es wird schon irgendwie weiter gehen können, ja müssen, so jedenfalls war mein erstes Empfinden der Situation. Ähnlich sahen es viele Personen, mit denen ich täglich im Gespräch war.
Diese Situation hat sich jedoch in den vergangenen Tagen deutlich geändert. Nach und nach wurde mir klar, dass es sich diesmal nicht um einen kurzen Boxenstopp handelte, sondern um eine mir bis dahin unbekannte Situation, für die ich immer noch keinen Namen habe und die einzuordnen mir ebenfalls schwer fällt. Sie ist aber da und verfügt über erstaunliche Macht, sich zu behaupten.
Es ist eben alles andere als „nur“ ein persönlicher Boxenstopp, von denen ich schon einige erlebt hatte. Diesmal wurde das ganze Rennen abgesagt und das für alle Teilnehmer und das Publikum ebenfalls. Und was bedeutet das? Ich lade uns alle dazu ein, die Beurteilung der Situation etwas langsamer anzugehen. Denn die Frage, was das Ganze zu bedeuten hat, verlangt ebenso nach einer (Be-)deutung und genau darin scheint sich ein neuer Wettbewerb zu entwickeln. Er nennt sich: Ich weiß was los ist, was zu tun ist, was getan werden sollte und längst hätte getan werden müssen. Dieser Wettbewerb findet aber auch darin statt, besonders cool zu bleiben, weiter zu machen wie bisher und gegen alle und alles zu meckern, was die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen betrifft. Mit anderen Worten: Wir wetteifern darum, uns und andere glauben zu machen, wir hätten uns und alles im Griff.
Ist das aber so? ich glaube nicht. Gerade diese Epidemie zeigt erneut das volle Ausmaß einer einzigen wichtigen Tatsache: Wir haben nicht alles im Griff.
Mehr noch: Wir hatten es niemals wirklich im Griff und unsere Vorhersagen, Pläne, Wünsche und Vorstellungen laufen nur so lange gut, wie das Leben mitspielt, natürlich ohne vorher von uns gefragt worden zu sein. Spielt das Leben mal nicht mit, fällt fast alles von dem, was unseren Alltag ausmacht, in sich zusammen. Es passiert also genau das, was wir jetzt unmittelbar und täglich wahrnehmen müssen: Es läuft nicht so, wie wir es gerne hätten und wie wir es gewohnt sind. Es läuft ganz anders. Wir stellen fest, dass nicht wir das Drehbuch schreiben und auch nicht Regie führen.
In diesen Tagen spüre ich besonders deutlich, wie wichtig es mir ist, Vorhersagen treffen zu können. Wie selbstverständlich ich mich auf meine und die Pläne der anderen verlasse. Noch deutlicher gesagt: Ich merke, wie selbstverständlich ich zuweilen mein Leben gestalte – terminiert und eingetaktet bis ins Kleinste, auf den Tag, die Stunde und die Minute exakt.
Und jetzt dieser Stillstand. So der erste Eindruck. Ich bleibe aber bei diesem Eindruck und stelle fest, dass manch eine meiner Befürchtungen und Ängste sich langsam legen und das tun sie, weil ich kein Bedürfnis mehr verspüre mir weitere Horrorszenarien vorzustellen. Es geschieht etwas in diesem sich ausbreitenden Stillstand. Ich werde wacher. Ich achte auf das, was wirklich zu tun ist. Mit Erstaunen stelle ich fest, dass ich beginne, mich auf das einzulassen, was gerade jetzt geschieht und getan werden muss…. der Abschied von Willigis….
Wie seltsam, ich komme ohne weitreichende Pläne aus und fühle mich trotzdem oder vielleicht gerade deswegen sehr lebendig und verbunden.
All das ist immer schon das Leben. Ich bin dabei. Sogar mehr als noch vor paar Tagen…