Gemeinschaft

von Zen-Meisterin Doris Zölls, Mitglied des spirituellen Beirats am Benediktushof

Christen feierten am Wochenende das Pfingstfest. Dieses Fest wird leider nicht mehr wirklich wahrgenommen, außer, dass wir in Bayern einen Zusatzfeiertag haben und das Wetter meist so schön ist, um einen Pfingstausflug in die Natur zu machen. Weihnachten oder Ostern sind Feste, die auch Nicht-Christen feiern. Pfingsten ist für Insider. Pfingsten hat jedoch eine Botschaft, die eigentlich alle Menschen angeht. Es ist das Thema der Gemeinschaft.

In der Pfingstgeschichte wird erzählt, dass, egal welche Hautfarbe wir haben, welche Sprache wir sprechen, welcher Religionsgemeinschaft wir angehören, dass wir Menschen, und Zen würde sagen, dass alle Wesen – wozu jedes Phänomen gehört – eins sind, wir uns verstehen können und auf Grund dessen, wir in Frieden und Einheit miteinander und mit der ganzen Natur leben können. Dies gilt weltweit.

Schauen wir jedoch auf die Welt, mag Zweifel entstehen, ob dies nicht eine große Illusion ist, die wir da postulieren. Heute wird zwar viel von Solidargemeinschaft, von der „Einen Welt“, von Globalisierung gesprochen, doch im Grunde genommen sind wir noch nicht so weit, dass wir uns als Einheit verstehen, in der wir uns gleichberechtigt und auf Augenhöhe begegnen. Das trifft nicht nur auf uns Menschen zu, sondern auch auf alle anderen Wesen dieser Welt. Wir sind immer noch vom Drang des Herrschens und Beherrschens gelenkt.

Die Corona-Krise macht uns deutlich, wie eng wir miteinander verbunden und wie abhängig wir voneinander sind. Sie macht uns auch bewusst, dass das Lebensgefühl, die Kultur, die Religion und, damit oft verbunden, die politische Ausrichtung zwar große Barrieren sind, aber dass es nicht mehr darum geht, dass sich eine Religion oder eine Kultur als die Bestimmende hervortut, sondern dass wir an einem Strang ziehen müssen. Wir brauchen eine andere Ebene, auf der wir uns verstehen.

Pfingsten spricht von einem Geist, der allen zu eigen ist. Mit dem Geist dürfen wir nicht unser Denken verwechseln, denn dieses ist so unterschiedlich wie wir Menschen es sind, und es führt nur zu Unstimmigkeiten und Streit. Vielleicht hilft das hebräische Wort Ruach weiter. Es wird neben Geist auch als Atem oder Leben übersetzt und kann damit viel weiterreichen. Durch den Atem sind wir untrennbar miteinander verbunden. Wir atmen alle dieselbe Luft.

Auch bei der Übersetzung des Geistes als Leben kann ich nicht umhin, in jeder und jedem von uns das Leben zu sehen. In allem, egal wie oder was es ist, pulsiert das Leben. Alles ist der Vollzug des Lebens, alles ist Geist. Darin sind alle Wesen eins. Das Leben ist nichts Herausgehobenes, nicht etwas, was zu uns dazukäme, was der oder die eine hat und andere nicht, was bei dem Wort Geist schnell assoziiert werden kann. Alles ist der Vollzug des Lebens, ob Mensch, Tier, Pflanze, sogar Stein. Es ist immer das Leben, das sich nur in unterschiedlichen Formen zeigt. Durch das Leben selbst sind wir eins mit allem.

Dieses Leben kennt keine Grenzen, es schließt niemanden aus. Das Leben verleiht uns im wahrsten Sinne des Wortes Flügel, da es alle Barrieren und alle Räume überschreitet. Das Leben ist so unterschiedlich, es gibt nichts, was dem anderen gleicht.

Wie könnte jedoch das eine über dem anderen stehen, wie das eine über das andere herrschen?

Dieses Leben ist das Eine, das uns eint und dadurch in die Verantwortung und auch in die Freiheit setzt. Freiheit, weil wir unsere religiösen, kulturellen, sogar unsere menschlichen Prägungen, die durchdrungen sind von einem ICH WILL, übersteigen können. Verantwortung, weil es nichts gibt, was uns nicht betrifft, das wir ausgrenzen könnten. Wir sitzen alle in einem Boot. Und Einheit, da jedes Leid und jede Freude des anderen auch mein Leid und auch meine Freude ist.

„Wolken und Mond sind eins, Berge und Täler verschieden.
Alles ist gesegnet, zehntausend gesegnet.
Sind dies eins, sind dies zwei?“

Mumon

Wir sind als Vollzug des Lebens eins mit der ganzen Schöpfung. Nichts, aber auch gar nichts, kann ausgeschlossen werden, nur weil es eine andere Form hat. Pfingsten wäre daher ein Fest, bei dem wir uns dessen bewusst werden können, dass wir vernetzt sind, sich jede oder jeder im anderen spiegelt.

Eigentlich ist Pfingsten ein wunderbares Fest, das neu aufgegriffen werden sollte. Wenn wir noch ein Konsumgut, wie den Osterhasen oder den Weihnachtsmann fänden, dann wäre das Fest schnell verbreitet. Lassen Sie uns Pfingsten als Einheit mit allem feiern. Dazu brauchen wir natürlich Rituale, Wiederholungen und Symbole, die diese Einheit, Freiheit und Verantwortung verkörpern. Ich glaube, es würde sich lohnen dieses Fest zu gestalten, denn sein Anliegen geht uns alle an. Mehr denn je – zur Individualisierung muss die Verantwortung für eine Gemeinschaft hinzukommen, damit wir als Menschen überleben können.


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Doris Zölls

Evangelische Theologin, Zen-Meisterin der Zen-Linie "Leere Wolke" (Willigis Jäger), Mitglied im Präsidium der West-Östliche Weisheit Willigis Jäger Stiftung. www.alltagszen.de
 
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