Videos zum Symposium Psychotherapie: „Spirituelle Krise oder Krankheit Von der Kunst der Unterscheidung“

In den vergangenen Jahren haben wir es mit einer enormen Zunahme verschiedener meditativer und spiritueller Praktiken zu tun. Gleichzeitig steigt die Zahl psychischer Erkrankungen. Für Psychotherapeut*innen einerseits und spirituelle Lehrer*innen andererseits stellt sich die wichtige Frage nach der Unterscheidung der „Geister“. Was gilt als „normal“, was gilt als spirituelle Krise und was als psychische Erkrankung? Und: Kann man alles wirklich so klar voneinander trennen? Oder bleibt die Frage nach dem Umgang mit all den Phänomenen offener denn je?

Diesen Fragen widmete sich das Symposium Psychotherapie von 15. bis 17. September unter der Leitung von Dr. Alexander Poraj und Dr. Matthias Lauterbach („Mehr spirituelle Krise wagen!“), das in diesem Jahr das Thema „Spirituelle Krise oder Krankheit – Von der Kunst der Unterscheidung“ in den Fokus stellte. Die Beiträge der Referenten Prof. Dr. Harald Walach, Dr. Liane Hofmann, Prof. Dr. Thilo Hinterberger, Wulf Mirko Weinreich, Dr. med. Juraj Styk, Richard Roshi Baker und Dr. Alexander Poraj stehen nun als Videos, beziehungsweise Audio online zur Verfügung.

„Spirituelle Krisen – Konzeptuelle Grundlage zum Brückenschlag zwischen Psychotherapie und Spiritualität“ von Prof. Dr. Harald Walach

Die Gemeinsamkeit von Spiritualität und Psychotherapie? Die Erfahrung. Prof. Dr. Harald Walach erläutert in seinem Vortrag die Grundlagen für den Brückenschlag zwischen den beiden Disziplinen.

Im Rahmen der Psychotherapie ermöglichten neue Erfahrungen eine Korrektur bisheriger Muster und damit eine neue Ausrichtung. Die Spiritualität ermögliche uns die Erfahrung einer tiefen Verbundenheit – mit anderen Menschen, dem Leben etc. Diese auf die transzendente Wirklichkeit ausgerichtete, transpersonale Erfahrung sei seit jeher ein tiefes Bedürfnis des Menschen. In früheren Zeiten betteten Religion und Religiosität diese Erfahrungen ein und boten den Menschen im optimalen Fall entsprechende Begleitung: „Sie bieten das Gehäuse, den Raum für Erfahrungen. Durch Rituale und Riten können diese Erfahrungen sichtbar gemacht werden.“ Denn: Spirituelle Erfahrung suche immer eine Form, sich auszudrücken.

Was passiert bei einer spirituellen Erfahrung? Einerseits gäbe es die Erfahrung der Fülle, ebenso sei aber auch eine dekonstruktive Erfahrung möglich, die den Menschen vor große Herausforderungen stelle: „Alles fällt plötzlich weg“ – auch vermeintliche Sicherheiten und Gewissheiten. Geraten spirituelle Praktizierende in die Krise, blieben sie in unserem Gesundheitssystem oft auf der Strecke: Es fehle an geschulten Psychotherapeuten, die bei der Integration und Begleitung hilfreich sind, so Walach: „Psychotherapeuten sind die neue Priesterkaste.“

Prof. Dr. Harald Walsch ist klinischer Psychologe, Gesundheitswissenschaftler und Wissenschaftsforscher, Professor an der Medizinischen Universität Poznan, Polen, Gastprofessor an der Universität Witten-Herdecke und Autor.

„Spirituelle Krisen – Grundlagen zur Einordnung eines facettenreichen Phänomens“ von Dr. Liane Hofmann

Spiritualität als Suche nach Sinn und Bedeutung des eigenen Seins ist ein menschliches Grundbedürfnis. Persönliche Schicksalsschläge oder existenzielle Fragen, die sich innerhalb eines materialistischen Weltbilds nur unzureichend beantworten lassen, können dieses Bedürfnis verstärken und den Wunsch nach einer Neuorientierung wachrufen. Verbindet sich dies mit einer unkritischen Anwendung von spirituell-meditativen Techniken können sich krisenhafte Zuspitzungen ergeben. In diesen Krisen sind Wegbegleiter oder Therapeut gefordert.

Dr. Liane Hofmann ist Dipl.-Psychologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V. (IGPP) in Freiburg i. Br. und Mitglied des Fachbeirats „Religiosität und Spiritualität“ der DGPPN.

„Ist Spiritualität gesund? Eine Betrachtung salutogener Aspekte von Spiritualität“ von Prof. Dr. Thilo Hinterberger

Der Regensburger Forscher Dr. Thilo Hinterberger stellt in seinem Vortrag zum Teil sehr überraschende Studienergebnisse zu Spiritualität und Salutogenese vor. Neurobiologische Effekte von Meditation und Achtsamkeit lassen sich im Gehirn im Bereich funktioneller, aber auch struktureller Veränderungen von grauer und weißer Substanz nachweisen, insbesondere in Arealen, die mit Aufmerksamkeit und Gedächtnis, Interozeption und sensorischer Verarbeitung sowie mit der Selbst- und Autoregulation – inklusive der Kontrolle von Stress und Emotionen – zusammenhängen. Die neuronalen Wirkmechanismen der Achtsamkeit lassen sich daher systematisch in vier Bereiche einteilen: Aufmerksamkeitsregulation, Körpergewahrsein, Emotionsregulation und Selbstwahrnehmung. Die Ergebnisse sind sowohl für Medizin und Gesundheitswesen interessant, als auch für den therapeutischen Bereich, im Stressmanagement und insbesondere in der Suchtbehandlung.

Prof. Dr. Thilo Hinterberger ist Physiker, Neuro- und Bewusstseinswissenschaftler, Forschungsbereich Angewandte Bewusstseinswissenschaften in der Psychosomatischen Medizin, Universitätsklinikum Regensburg, sowie Präsident der Gesellschaft für Bewusstseinswissenschaften und Bewusstseinskultur GBB e. V.

„Spirituelle Krisen vor dem Hintergrund des Integralen Bewusstseinsmodells“ von Wulf Mirko Weinreich

Wulf Mirko Weinreich stellt die spirituelle Krise in den Kontext des Integralen Bewusstseinsmodells nach Ken Wilber. Dieses führt den östlichen Weg der Meditation und des achtsamen Lebens und den westlichen Weg der Erforschung der menschlichen Psyche und Evolution zusammen. Durch Meditation erreicht der Mensch immer tiefere Schichten des Bewusstseins und kommt schließlich zum „Aufwachen“, zur völligen Freiheit von allen persönlichen Grenzen. Doch auch die Persönlichkeit, die emotionalen und mentalen Muster menschlichen Seins, wollen durchdrungen und transparent gemacht werden.

Nur so ist eine wirklich integrale Reife möglich. Dazu ist es nötig, die unbewussten inneren „Landkarten“ zu verstehen, mit denen man durchs Leben navigiert. Diese Bewusstwerdung nennt Wilber „Aufwachsen“.
Erst beides, „Aufwachen“ und „Aufwachsen“, führt zu einem wirklich integralen Bewusstsein.

Wulf Mirko Weinreich ist Dipl.-Psychologe, Integrale und spirituelle Psychotherapie, Autor mehrerer Bücher zu integralen Themen sowie kosmischer DJ.

„Wann sprechen wir von spiritueller Krise und wann von einer Erkrankung? Einblicke aus psychotherapeutischer Praxis“ von Dr. med. Juraj Styk

Juraj Styk eröffnet seinen Vortrag mit einem Zitat von Rainer Maria Rilke: „Wer zu viel verstehen will, an dem geht das Ewige vorbei.“ Das Bewusstsein – und dessen qualitative und quantitative Veränderungen – sind das Fachgebiet des Psychiaters und Psychologen. Der Mediziner gehörte in den 1960er Jahren zu den Pionieren beim Einsatz von LSD in der therapeutischen Ausbildung – bevor die psychedelische Bewegung 1974 weltweit verboten würde -, und nutzte es unter anderem zur Selbst-Erfahrung. Dabei machte er auch Entdeckungen zu den spirituellen Dimensionen des Bewusstseins.

Der Psychiater und Psychologe widmet sich der Kunst der Unterscheidung von spiritueller Krise und Erkrankung: Er weiß aus langjähriger Erfahrung, wie subtil und fließend die Abgrenzung sein kann und welche Herausforderung damit eine Diagnose darstellt: Was sind Anzeichen spiritueller Krisen, welche sprechen für Erkrankungen, etwa einer beginnenden Psychose? Was sind auslösende Elemente, wie ist das Ausmaß der Störung zu bewerten, welche Symptome tauchen im Verlauf der Krise auf? Und wie können Praktizierende in ihrer Vulnerabilität entsprechend begleitet werden?

Dr. med Juraj Styk ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie; er war viele Jahre als Psychosomatiker an der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel tätig, er ist mit eigener Praxis niedergelassen und Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für psychologische Therapie und Beirat im Europäischen Collegium für Bewusstseinsstudien.

„Transformationen: existenziell, spirituell, verwirklichend“ von Zentatsu Richard Baker Roshi

Zentatsu Richard Roshi Baker sprang für die kurzfristig an Covid erkrankte Referentin Tatsudo Nicole Baden Roshi ein. Eindrucksvoll und mit viel Humor spricht er über fünf Jahrzehnte spirituelle Praxis. Im Laufe der Jahre habe er oft erlebt, was man als sogenannte spirituelle Krisen bezeichnet: Mit der Praxis verschiebe sich die Sicht auf das Leben: „Es bedarf Stärke, um diese Verschiebungen hinzunehmen.“

Roshi Baker veranschaulicht Essenz und Praxis des Zen mit Metaphern, etwa am Beispiel des Klavierspielens: Nicht wir spielen das Klavier – das Leben -, sondern das Klavier – das Leben – spiele uns. Die Zen-Praxis helfe uns, in jedem Moment „auf Empfang“ zu sein. Zen sei kein angenehmer Weg: Die regelmäßige Praxis bedürfe Durchhaltevermögen und Geduld, wir erkennen die Substanzlosigkeit unserer Gedanken und unseres Ichs und erfahren uns selbst „als Baustelle“: Mit der Praxis betreten wir im Zen das weite, substanzlose Feld des Geistes – und diese Erfahrung der Bodenlosigkeit könne in eine Krise führen: „Das Feld des Geistes kann ein Minenfeld sein“.

Richard Dudley Baker ist amerikanischer Soto-Zen-Meister, Gründer und leitender Lehrer der Dharma Sangha, beheimatet im Crestone Mountain Zen Center in Crestone, Colorado, und dem Buddhistischen Studienzentrum Johanneshof im Schwarzwald.

„Die Stille als Herausforderung – Umgang mit spirituellen Krisen im Retreat-Kontext und die Funktion des Meditationslehrers“ von Dr. Alexander Poraj (Audio)

Psychologische Krise oder spirituelle Krise? Dr. Alexander Poraj beschreibt in seinem Vortrag die beiden Phänomene, die beide in der spirituellen Praxis auftauchen können: Die psychologische Krise ergibt sich u.a. aus dem Leiden daran, dass die Wirklichkeit nicht mit unseren Wünschen, Annahmen oder Vorstellungen übereinstimmt. Die spirituelle Praxis fordert uns auf, diese Annahmen über die Wirklichkeit zu überprüfen. Spirituelle Krisen können, so Alexander Poraj, aus der Herausforderung entstehen, mit den Erkenntnissen und Erlebnissen eines spirituellen Erwachens, der Erkenntnis in die Wirklichkeit umzugehen.

Der Benediktushof bietet spirituell Praktizierenden seit Herbst vergangenen Jahres eine psychologische Begleitung an, die ergänzend zur Praxis ganz gezielt bei Fragen und Herausforderungen auf dem spirituellen Weg unterstützt.

Dr. Alexander Poraj ist Zen-Meister, Theologe, Coach, Spiritueller Leiter am Benediktushof, Mitglied des Präsidiums der West-Östliche Weisheit Willigis Jäger Stiftung und Autor.


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