Was kostet ein Lächeln?
Impulsbeitrag von Petra Wagner, Kontemplations-Lehrerin der Linie „Wolke des Nichtwissens“, Mitglied der spirituellen Leitung der Kontemplationslinie „Wolke des Nichtwissens“ über eine kleine und manchmal unendlich große herausfordernde Geste: ein offenes Lächeln
So oft formuliert sich im Leben die Frage „Warum?“, oft so berechtigt und doch ohne Antwort. Was dann bleibt ist meist Hilflosigkeit und Unsicherheit, die sehr leicht in Abwehr münden und zu einer Art Rückzug führen können. Wir sind zunächst offensichtlich darauf konzipiert auf Verstehen wollen und Lösungen finden müssen, ganz gleich was uns widerfährt.
Vielleicht ist es ein wenig einfacher, in Gemeinschaft das Warum als Warum stehen zu lassen und, im Sinne von Rilke, „die Fragen zu leben, um vielleicht eines fernen Tages, ohne es zu merken, in die Antworten hinein zu leben“.

Ein wirklich offenes echtes Lächeln kennt keinen Rückzug und auch die Frage nach dem „Warum“ hat in diesen Momenten keinerlei Raum. Allerdings kann auch ein Lächeln eine Herausforderung sein.
Eine kleine Geste lädt uns ein zu Offenheit und Begegnung
Es ist ein sogenannter „Stolperstein“ auf einem meiner üblichen Wege, der mich mit den Worten: „Heute schon gelächelt? Ich habe es nicht gesehen“ immer wieder neu an die Bedeutung von Begegnung, Gemeinschaft und Miteinander erinnert.
Der Stolperstein war auch die Inspiration für ein spontanes persönliches Experiment vor einigen Wochen: Einen ganzen Tag jeden Menschen, mit dem sich ein Blickkontakt ergibt – und sei er noch so kurz – bewusst und offen anzulächeln. Es sind viele Blicke, die sich, im Unterwegs -Sein, im Laufe eines Tages begegnen. Die meisten kurz, eher zufällig und nebenbei, aber auch viele länger… prüfend, einschätzend, abwartend.
Ein Lächeln. Immer wieder neu. Immer wieder jetzt. Am Abend dieses Tages bleiben aufrüttelnde Erkenntnisse: Wieviel Aufmerksamkeit braucht es, bei jedem Blickkontakt bewusst und offen zu lächeln und wie selten kommt ein offenes, strahlendes Lächeln zurück, wie häufig eher eine Irritation, manchmal bis zur Abwehr.
Die allgemeingültige Antwort „Ein Lächeln kostet nichts“ trifft offensichtlich nicht zu. Wenn es denn wirklich so wäre, weshalb dann immer wieder dieses Misstrauen, diese Skepsis als Antwort auf ein einfaches Lächeln? Was genau macht es so schwierig, einfach zurück zu lächeln? Viele Fragen, die alle in einer münden:
„Die Ros´ ist ohn´ Warum – sie blühet, weil sie blüht“
(Angelus Silesius)
„Was kostet ein Lächeln?“
Offensichtlich sehr viel. Was genau ist denn dieses viel? Ein echtes Lächeln, eines, das auch die Augen erreicht, ist die Möglichkeit, direkt und offen miteinander in Verbindung zu treten – ohne jedwede Barrieren, wie Sprache, Alter oder Kultur. Es ist international und das einfachste Zeichen von Gemeinschaft und Nähe, von Sehen und Gesehenwerden, von Verständigung und Verstehen.
Der Preis scheint hoch zu sein, für manche Menschen vielleicht zu hoch. Besteht doch die Möglichkeit, Ablehnung zu erfahren, anstatt einen Moment von Verbundenheit zu erleben. Der Preis ist Verletzbarkeit – und diese gilt es um jeden Preis zu vermeiden. Oder? Zudem erfordert ein spontanes Lächeln die zumindest kurzzeitige Aufgabe einer Bewertung der Situation und der Person. Es geschieht ohne Kalkül, ohne Warum und Weshalb. Einfach so. Kontrollverlust ist hier der Preis.

Ein Lächeln zu schenken… kostet nichts. Es braucht den Mut, Kontrolle aufzugeben und sich verletzlich zu zeigen, verletzlich zu sein. Es braucht die Offenheit für Begegnung und Gemeinschaft. Es braucht die Möglichkeit, ohne Erwartung zu sein. Es braucht Gegenwärtigkeit.
Ein echtes Lächeln ist wortlose Sprache, Menschsein im tiefsten Sinn – ohne ein Warum in diesem gelebten Augenblick von Nähe und Verbundenheit.
Heute schon gelächelt?
Eure Petra
Das Autorinnengespräch mit Petra Wagner findet am Dienstag, 17. Juni um 19.30 Uhr statt – online & kostenfrei via Zoom.
