Wann sind wir eigentlich zufrieden?

Impulsbeitrag von Maria Kolek Braun, Kontemplations-Lehrerin der Linie „Wolke des Nichtwissens“, Mitglied der spirituellen Leitung am Benediktushof.

Letztens saß ich mit meinem Team beim Mittagessen – dabei finde ich es immer interessant, über welche Themen wir uns unterhalten. Beim letzten Mal fiel mir besonders auf, wieviel kritisiert wurde. Angefangen bei den zu kühlen Büroräumen, über die Bürokratie, die uneinsichtigen Mitarbeiter, die inkompetenten Politiker, und und und …

Wir denken: Etwas muss anders sein als es ist. Ich müsste mehr Geld verdienen im Vergleich zu meinem Kollegen, unsere Kinder sollten genauso begabt sein wie die unserer Freunde; meine Tochter darf nicht psychisch beeinträchtigt sein; unsere Familie sollte nicht zerstritten sein; ich darf nicht an Krebs erkranken.

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Es gibt keine Garantie auf ein krisenfreies Leben

Diese Erwartungshaltung macht unzufrieden, weil wir wissen, dass es keine Garantie für ein krisenfreies Leben nach unseren Vorstellungen gibt. Unzufriedenheit drückt sich in spezifischen Gedanken und im Verhalten aus: Viele fühlen sich nur etwas wert, wenn sie ihre eigene Weltsicht bestätigt bekommen. Andere Haltungen werden respektlos und ohne Empathie für den anderen Menschen abgeurteilt. Es geht nicht mehr um den anderen, sondern um die Bestätigung der eigenen Person. Diese destruktive Haltung zerstört das soziale Miteinander. Viele Kommentare in den sozialen Medien spiegeln diese nur auf sich selbst bezogene Haltung wider.

Und auch uns selbst gegenüber sind wir gnadenlos. Wir erwarten von uns, dass wir perfekt sind. Fragen uns, was die anderen über uns denken; wollen es allen recht machen. Letztlich ist es das Gefühl, als würde uns etwas fehlen.

Kein Wunder, dass diese Unzufriedenheit verdrängt und mit etwas gefüllt werden muss. Wir umgeben uns mit immer mehr Dingen. Wir konsumieren viel mehr als wir brauchen. Wir verbringen mehr Zeit als sinnvoll in den sozialen Medien oder vor dem Fernseher, all das kann uns nur kurzfristig, aber niemals ganz zufrieden sein lassen.

Übergib dich dem Leben. Gib es auf, alles verstehen zu wollen. Gib dich nur ganz einfach

(Shan Tao)

Ein Beispiel: Wir haben es uns zum Picknick auf einer Wiese gemütlich gemacht, und dann kommt eine Mücke oder Ameise „bedrohlich“ nahe. Ihr gilt jetzt alle Aufmerksamkeit, vielleicht wird sogar panisch der Ort gewechselt, statt „anzukommen“ im Jetzt –  an diesem Ort, zur Ruhe zu kommen, die leisen Geräusche von fliegenden Insekten, die sich im Wind wiegenden Bäumen und Gräsern zu hören, die Düfte, das Licht- und Schattenspiel wahrzunehmen.

Üblicherweise betrachten wir alles aus der Perspektive unseres Ichs: Das Ich ist der Mittelpunkt, das Ich beurteilt die Umstände unseres Alltags, beurteilt unsere Beziehungen, die Politik und in nicht geringem Ausmaß das Verhalten der anderen und sich selbst. Bei aller sicher oft berechtigten Kritik ist doch zu bedenken, dass hierbei nur das eigene Weltbild der Angelpunkt und Maßstab ist. Der empfundene Mangel führt immer wieder in das beurteilende Denken, dass es anders und mehr sein müsste. Es liegt auf der Hand, dass diese Perspektive unseres Ichs nie vollkommen ist und uns unzufrieden macht, ja uns oft sehr leiden lässt.

Die Perspektive wechseln: Aus dem Urteilen ins Wahrnehmen

Stattdessen könnten wir eine andere Perspektive einnehmen. Statt der ständigen Bewertung und Beurteilung aus der Ich-Perspektive könnten wir „umschalten“ auf Wahrnehmen und Spüren. Dazu braucht es Mut, die klare Entscheidung und Hingabe, die Kontrolle des Ichs zurück treten zu lassen und so eine Haltung des wachen Wahrnehmens zuzulassen.

Wahrnehmen, wie das Leben sich in diesen Umständen, in dieser Situation vollzieht:

Dann geht es nicht darum, ob das Ich zufrieden oder unzufrieden ist, es geht nicht um die subjektiv erlebte Befindlichkeit des Ichs, sondern darum, ob ich mich hinein lasse in diesen Fluss des Lebens und mich selbst als einen Teil dieses Ganzen erfahre, statt mich davon zu distanzieren. So lebe ich die Freude, die Liebe, den Schmerz, die Trauer, die Angst.

Das Leben ist in jedem Augenblick ganz und vollständig, es fehlt nichts, alles ist bereits da.

Das Autorinnengespräch mit Maria Kolek Braun findet am Dienstag, 19. August um 19.30 Uhr statt – online & kostenfrei via Zoom.

Zum spirituellen Impulsbeitrag gibt es das „Autorinnengespräch“, ein Format, in dem sich interessierte Leser*innen und Kursteilnehmer*innen des Benediktushof zusammen finden, um gemeinsam mit dem Autor/der Autorin über den Impuls zu reflektieren.  Der gemeinsame Austausch kann eine sinnvolle und hilfreiche Ergänzung zur eigenen spirituellen Praxis sein. Der Ablauf ist dabei stets: Vortrag – Austausch in Kleingruppen – Fragen & Antworten im Plenum. Das ganze findet kostenfrei, online via Zoom statt. Anmeldung über den Button unten (gleicher Link wie beim Online-Sitzen in Stille).

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Maria Kolek Braun

katholische Dipl.-Theologin, Germanistin. Sie ist Kontemplationslehrerin der Linie "Wolke des Nichtwissens" (Willigis Jäger) und Mitglied der spirituellen Leitung am Benediktushof. Sie lebt in der Schweiz und arbeitet nach Jahren in der Gemeindearbeit und Krankenhausseelsorge jetzt im Leitungsteam der Spital- und Klinikseelsorge im Kanton Zürich. Sie ist MBSR-Lehrerin und Vorstandsmitglied im Würzburger Forum der Kontemplation (WFdK).
 
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